Bericht

 

H. Lehmkuhl.
Bremen.
Mendestr. 13a-                                                                                                                                den 8. August, 50.
tel. 26550.

Berlin West – Berlin Ost.

Die Fahrt nach Berlin, mit Autobuss, war schöner als eine Eisenbahnfahrt, interessanter, abwechslungsreicher; man sitzt in den bequem gepolsterten Sitzen, hört Radio und kommt auch ebenso schnell zum Bestimmungsort.-
Die Pass- und Gepäck-Kontrolle dauerte auf Hin- und Rückfahrt mehr wie 5 Stunden, es standen aber auch hunderte von Autobussen und Privatwagen zu beiden Seiten der Schlagbäume. Die Ost-Volkspolizisten waren ausgesucht höflich, kritzelten ihre Unterschriften schnell auf die Pässe, die Koffer-Kontrolle verlief ohne grosses Nachsehen; wie hätte bei dem Andrang von Tausenden auch genauer nachgesehen werden können. Auf dem Pass wurde die Geldangabe vermerkt und unbeanstandet durch gelassen; es waren nur kleinere Beträge, grössere Summen hatte wohl Niemand bei sich. Aus der russ. Zone zurück durfte man kein Ostgeld mitnehmen, Westgeld wurde hin und zurück frei gelassen! Das ängstliche Beraten von Reisenden, man dürfe nicht mehr wie DM. 1.- West haben, war bei beiden Fahrten unrichtig. Aber, es sei gewagt, die russischen Anordnungen sind wechselvoll.
Der stärkste Eindruck in Berlin-West: es ist, und wird aufgeräumt!
Lange Steinmauern, aus dem Schutt gesammelt sind aufgeschichtet, bis abends spät, mit Nachtschicht, enttrümmert Berlins Intelligenz, Frau, Fräulein und Mann, ein guter und sehr notwendiger Verdienst, aber aufgebaut ist sehr wenig! Die Gedächtniskirche steht noch unberührt, aufbauen – abreissen, man hört verschiedenen Meinungen. Das herrliche Restaurant „Traube am Zoo“ eine Ruine, kleine Läden haben sich parterr eingenistet; ein neues Kaufhaus in der Joachimstalerstr, gut gelegen und viel besucht. Die Berliner Sensation: Das K D W ist wieder eröffnet! Grosser Andrang, aber auch grosse Preise!
Am Kurfürstendamm viele gute Geschäfte und teilweise herrliche Auslagen aber – wenig Käufer! Die vielen Wechselstuben machen dagegen wohl das beste Geschäft.
Die Kranzler-Ecke noch Ruine, es hat sich ein Antiquitätenladen dort eingerichtet; Preise für gute alte Möbel, Kunstsachen, sind sehr niedrig. Ein neues grosses Café, Bettin, daneben hell, vornehm mit grossem Sonnendach, aber dahinter nichts, nur Kulisse.-
Die Menschen auf dem Kudamm: es waren gerade sehr heisse Tage, man sah sehr leicht gekleidete Damen, Schultern bis zu den beiden Brustknöpfchen frei, Rücken frei wie bei einem Badekostüm, natürlich ohne Hut; junge Männer mit buntesten, offenen Hemden, langen Hosen und Schuhen mit breiter Kreppsohle.
Das Publikum war absolut nicht mehr „Kurfürstendamm-Publikum“ wie früher, viele junge „Bengels“ lungern auf den Bürgersteigen herum, ist es West oder Ost Jugend? Nach 11h abends entvölkert sich der Kudamm schnell, die nächtliche Jugend beiderlei Geschlechts beherrscht dann die Strasse. Die Nebenstrassen, Ruinenstrassen, sind ganz leer; Polizei war kaum sichtbar.-
Am Zoo: Ruinen, die Budapesterstr, ist nicht mehr, nichts wird aufgebaut; das herrliche Eden-Hotel ist wüster Trümmerhaufen; der Zoo selbst ist arg mitgenommen, aber es wird doch gebaut! Die beiden grossen Bunker am Zoo gesprengt; der eine Bunker, hübsch in Grün gebettet, ergibt ein trauriges Ruinen-Denkmal; diese Koloss-Trümmer kann man auch kaum fortschaffen.
Vorbildlich sind im Westen die Grünanlagen mit herrlichen Blumenanpflanzungen; sie sind wie liebliche Oasen in dieser Ruinenstadt.-
Es soll wieder viele Bars und Nachtlokale geben wo Nakttänze gezeigt werden (sonst kommt ja niemand!) aber solch ein Bummel könnte recht unangenehm enden!
Auch Berlin hat seinen Sonnabend-Ladenschluss-Kampf!
Regen, Regen, der Kudamm ist leer, die Bürgersteige sind im traurigen Zustand, schlimmer wie bei uns! Man muss springen und bekommt doch nasse Füsse; grosse Seen auf den noch reperatur bedürftigen U Bahnhöfen. U Bahn, S Bahn, Strassenbahn und Omnibusse fahren gut, aber mit 15 oder 20 Min. Pause, oft ein grosser Zeitverlust.
An der Kaiserallee, jetzt „Bundesallee“ steht bis zum Preussenpark kaum noch ein Haus – aber ein Haus wird dort wieder auf- und ausgebaut das neue „Bundeshaus“, gegenübr dem Wilmersdorfer Rathaus.
Ein Gang durch den ehemaligen Tiergarten-: ein wüstes Feld mit einigen hohen Bäumen, verschlammten Tümpeln, Erdhaufen, Baracken; nakte braungebrannte Männer und auch Frauen arbeiten dort; Schloss Bellevue eine Ruine, verlassen; welche schöne Feste und Ausstellungen fanden dort statt! Die Siegessäule steht noch stolz und unversehrt! Bismark, Molkte und Roon daneben stehen noch ehern auf ihren Sockeln!
Aber die Siegesallee! Trümmer, Trümmer, alles wird abgebaut, Grünanlagen kommen dorthin; die wenigen noch vorhandenen Figuren, Könige, Staatsmänner mit fruchtbaren Splitterverletzungen, fast allen Figuren sind die Nasen abgeschlagen; weiter entfernt steht ein Wagner-Denkmal einsam zwischen Unkraut, Disteln und Sandhügeln. In der Ferne die Ruine des Reichstagsgebäudes, das weisse Stalin-Denkmal leuchtet herüber, das Brandenburgertor mit Gerüsten verkleidet, statt der Quadriga eine rote Fahne!
Die einzige Ecke im Tiergarten, welche schon in Ordnung ist: die von Bremen gestiftete Baumanpflanzung!!
Die herrlichen Paläste und Villen an der Tiergartenstr. – Ruinen; Bendlerstr., Tirpitz-Ufer – Ruinen, Herkules Brunnen und Brücke fort, kaum ein Aufbau in dieser ganzen Gegend.
Immer wieder hört man die bange Frage: Wie denkt man im Westen über Berlin? Ihr habt uns doch schon abgeschrieben! Alle Aufträge werden zurückgezogen (Korea), wenig Fremdenverkehr, selbst Verwandte kommen selten! Immer wieder: Der Westen giebt Berlin auf! Wenig Menschen haben noch den Mut wieder aufzubauen, wieder neu anzufangen!
Die Russen können ja mit S Bahn, U Bahn etc. in 10 Min. in West-Berlin sein, was wollen dann die Amis und Tommis machen? Ihr habt es gut in Eurem gesicherten Bremen! Und dann noch ein sehr richtiger interessanter Ausspruch von einem bekannten Berliner: Wenn man „Bremen“ hört, denkt man an die schöne alte Patrizierstadt mit den herrlichen Giebelhäusern! Und jetzt baut Ihr anders? Die Bremer werden doch nicht so dumm sein und diese schöne Bauweise aufgeben! Wo bleibt dann die schöne alte sehenswerte Stadt! Bremen ist doch nicht Berlin!!
Ein sehr erfreulicher Kunst-Eindruck: Das Kolbe-Museum in Charlottenburg; prachtvolle grossen Atelier-Räume, ein idyllischer Garten und überall die herrlichen, lebenswahren Meisterwerke! „Beseelte Formen sprechen von einer formenden Seele“ schrieb ein Berliner Kritiker; dieser Besuch erfrischt Seele und Körper nach all dem traurig Erschauten.-

Berlin Ost: Am Alex nachmittags eine Menschenmenge wie früher; viel einfacher gekleidet wie im Westen, geschäftig eilend, aber doch auch hier viele frohe Gesichter. Bemerkenswert die „Schneidigen Strassenpolizistinnen“, welche mit lächelndem Gesicht und gut gelaunten Reden, durch die Lautsprecher, die Passanten zur richtigen Strassenordnung aufrufen. Der grosse H O Laden dort ein Kaufhaus mit minderwertigen Sachen aber teuren Preisen, die Lebensmittel-Abt. war am stärksten besucht. Russen nicht zu sehen! Die Hauptstrassen aufgeräumt, frei von Schutt, aber keine Neu- oder Aufbauten; in den Nebenstrassen liegt der Schutt noch wie vor Jahren. Vor dem Berliner Rathaus ein frischer Rasen, die einzige Grünanlage welche man sah.
Das Schloss eine traurige Ruine, vor dem Schloss eine furchtbare Holztribüne; das grosse Kaiser Wilhelm Denkmal abgebrochen, zerschlagen, vernichtet; alle anderen Denkmäler in der Umgebung, Schlossplatz, Zeughausbrücke, unter den Linden, verschwunden; das Denkmal vom alten Fritz wurde abgebrochen; das Zeughaus soll zu einem Ausstellungs-Gebäude umgebaut werden. Oper, altes Palais, Kronprinzen-Palais, Ehrenwache, unangetastete Ruinen oder im Abbruch begriffen. Dieser historische Teil Berlins existiert nicht mehr; wo früher Berlin-Besucher in grosser Zahl waren, ist jetzt keine Menschenseele mehr zu sehen.
Die Linden sehen vernachlässigt aus; Ecke Friedrichstr. ein furchtbares hölzernes Denkmal, mit allwöchentlich wechselnden Foto-Drucken vom russ. Volksleben. Die historische Kranzler-Ecke vollkommen verschwunden, eine gähnende Leere; man sieht weiter hinten noch Teile der Passage.- Friedrichstr. eine Trümmerstrasse; einzelne kleine Läden mit sehr schlechten Waren, Tinneff! Alles Stoffliche eine ganz mindere Qualität. Die Ostberliner müssen wirklich im Westsektor kaufen, wenn sie nur einigermassen gute Ware haben wollen.
Die Seitenstrassen der Friedrichstr, sind noch in demselben Zustand wie vor Jahren, Grass wächst auf den Strassen, wo früher lebhafter Verkehr war.
Leipzigerstr. ebenfalls Trümmerstrasse; am früheren Luftfahrtministerium sind die wertvollen Reliefs verschwunden, das riesige Wertheim Haus ein Ruine, auch hier haben sich einige kleine Stände eingenistet. Am Potsdamer-Platz sind immer noch die Blumen-Stände, aber „et kooft ja keener!“
„Thälmann-Platz“ heisst jetzt der Wilhelmplatz und bietet einen recht traurigen Anblick; er soll mit roten Steinen neu bepflastert werden. Auf dem Platz sind an rohen Tannenstangen Fahnen aufgezogen. In dem historischen Teil der Wilhelmstr. steht kein Haus mehr; Reichskanzlei, Hindenburg-Palais, Gesandtschaften, Ministergärten, alles ist verschwunden oder wird noch abgetragen; man sieht über den Tiergarten hin die Siegessäule in der Ferne!
Auch der Besuch dieser historischen Strasse lohnt, nur um einmal zu sehen, wie verwüstend Krieg und russische Wilkür wirken kann.
Man löst am U Bahnhof Potsdamerplatz eine Fahrkarte für 20 Ost, fährt aufatmend wieder in den glücklicheren Westsektor, versucht die furchtbaren Eindrücke zu vergessen und ist froh, dass keine unerfreulichen Zwischenfälle eingetreten sind; Russen sah man gar nicht, aber man weiss ja nicht ob Spitzel uns belauert haben; nur nicht fotografieren!! Nein im Ostsektor ist es nicht lebenswert!
Und trotz allem sollte man Berlin wieder besuchen, schon um den mutigen Berlinern zu zeigen: „Wir vergessen Euch nicht!“

 

Hans Lehmkuhl

 

 

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